Die Zinswende rückt näher: Jan Holthusen über die Folgen für Sparer und Märkte

DZ BANK Research Bereichsleiter Dr. Jan Holthusen

Das DZ BANK Research prognostiziert eine Inflationsrate in der Eurozone von 3,7 Prozent in diesem Jahr. Trifft dieser Wert nur annähernd zu, hat die Teuerung das EZB-Ziel von 2 Prozent im zweiten Jahr in Folge weit überschritten. Die Vorzeichen stehen denkbar schlecht – im Januar erreichte die Inflation in der EWU im Vergleich zum Vorjahr 5,1 Prozent. Nach der jüngsten EZB-Ratssitzung ist klar: Eine Zinswende noch in diesem Jahr wird immer wahrscheinlicher. Bereichsleiter Jan Holthusen erklärt im Interview, mit welchen Zinsschritten er rechnet und was das für Sparer und Märkte bedeutet.

Herr Dr. Holthusen, ist eine Zinswende im Euroraum in diesem Jahr tatsächlich möglich oder macht eine Eskalation in Osteuropa diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung?
Käme es wirklich zu einem militärischen Konflikt, wäre die Notenbank mit restriktiveren Maßnahmen in der Geldpolitik eher zurückhaltend, da ein Krieg der konjunkturellen Erholung einen Strich durch die Rechnung machen würde. Wenn das Säbelrasseln aber friedlich beigelegt wird, erscheint ein Zinsschritt in diesem Jahr deutlich wahrscheinlicher – wegen der hohen Inflation und der Signale aus der Ratssitzung vor zwei Wochen.

Gehen wir von einer Deeskalation aus – mit welchen EZB-Zinsschritten rechnen Sie?
Bis zum Sommer wird es keine Zinsschritte geben, weil die EZB zunächst ihre Anleihekäufe einstellen will. Erst dann denkt sie an Zinsveränderungen. Dabei geht es zunächst um den Einlagezins. Es ist nämlich unnormal, dass der Einlage- und der Refinanzierungssatz so auseinanderklaffen wie derzeit mit minus 0,5 und null Prozent. Wir erwarten zwei kleine Schritte von plus 0,1 und dann 0,15 Prozentpunkten, so dass der Einlagesatz Ende 2022 bei minus 0,25 Prozent liegen sollte. Einen höheren Refinanzierungssatz erwarten wir erst für 2023.

Reicht das, um der Inflation entgegenzutreten?
Nein. Die EZB agiert viel zu zögerlich. Notwendig wären frühere und deutlich entschiedenere Schritte, um die Inflationserwartungen einzuhegen. Die EZB sollte mehr tun. Aber ich erwarte es nicht. Die Schwergewichte im EZB-Rat sind anderer Meinung. Der neue Bundesbank-Präsident wird es schwer haben, genügend Alliierte für eine Straffung der Geldpolitik zu finden. Dabei könnte die Wirtschaft sehr gut mit einem Leitzins von einem Prozent oder mehr leben.

Wenn die Zinsen wirklich wieder steigen – was bedeutet das für Sparer mit Blick auf Tagesgeldkonten, Aktien und Anleihen?
Für das Sparbuch oder Tagesgeldkonto bedeutet das erstmal nichts. Zunächst muss der Einlagesatz der EZB wieder in den positiven Bereich kommen. Auch bei Verwahrentgelten wird sich kurzfristig nichts tun. Solange die Banken der EZB Negativzinsen zahlen müssen, werden sie die Kosten an ihr Klientel weitergeben. Wer langfristig mit Blick auf seine Altersvorsorge anlegt, fährt mit Aktien, Aktienfonds und aktienbasierten Produkten gut, trotz aller Krisen und Zinserhöhungen. Das hat die Vergangenheit immer wieder gezeigt. Die Performance von Aktien lag langfristig immer über der Inflationsrate. Trotz der hohen politischen Unsicherheit könnte sich die aktuelle Lage im Nachhinein sogar als guter Einstiegszeitpunkt erweisen. Anleihen werfen inflationsbereinigt weiterhin erstmal keine positiven Renditen ab.

Was bedeutet eine Zinserhöhung für den Immobilienmarkt?
Auf dem Immobilienmarkt sehen wir schon jetzt Veränderungen. Noch im Jahr 2020 lagen die Zinsen für Zehn-Jahres-Baugeld bei 0,75 Prozent. Jetzt sind es 1,25 Prozent. Für ein durchschnittliches Reihenhaus in den Städten bei einem Preis von 511.000 Euro ist das schon erheblich. Werden 80 Prozent finanziert, ist die monatliche Zinsbelastung von gut 250 auf 425 Euro gestiegen. Für manche kann das eng werden. Günstiger werden Immobilien somit erstmal nicht.

Und wie geht es mit der Inflation weiter?
Für Deutschland erwarten wir in diesem Jahr im Durchschnitt 3,9 Prozent, 2023 rechnen wir mit 2,9 Prozent. Es könnte in diesem Jahr wegen der stark gestiegenen Energiepreise aber zeitweise noch etwas mehr sein. Auch im Euroraum bleibt die Rate erstmal hoch. Unabhängig davon wäre wichtig, dass die EZB ihrem Mandat – auf mittlere Sicht für Preisstabilität zu sorgen – nachkommt und reagiert.

 

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